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Pokémon Schulz

Veröffentlicht am 14.05.2017 in Bundespolitik

 

 Interessanter Kommentar aus der  Sonntagsausgabe der  RHEINPFALZ vom 14.05.2017:

 Pokémon Schulz

 Der SPD-Kanzlerkandidat war der Heiland. Der  SPD-Kanzlerkandidat  ist der Depp. Wenn  Medien und Bürger die Politik auf solche Hypes reduzieren, hat die Demokratie ein Problem. Ein Kommentar von Michael Konrad

 

Wir leben im Zeitalter des Hypes, der Welle der oberflächlichen Erregung, die zwei, manchmal vier Wochen anschwillt, in sich zusammenbricht und von der nächsten überrollt wird. Es ist halt einfacher, sich in der „Ice Bucket Challenge“ Wasser aus einem Eimer über den Kopf zu schütten, als ein Jahr lang im Chor ein Oratorium zu proben. Es ist cooler, auf der Straße mit „Pokémon Go“ und dem Handy vorm Hirn virtuellen Monstern nachzujagen, als im Tennisclub für die Medenrunde zu trainieren.

Im Privaten ist das alles zwar seltsam, aber belanglos. Im politischen Leben jedoch wird der Hype zum Problem, zur Falle, in die unsere Demokratie stolpert. Es sind wir Medien, aber auch die sozialen Netzwerke, die das Zeitalter des Hypes definieren. Aus jeder Idee, aus jeder Formulierung eines Politikers wird eine Sau, die durchs Dorf getrieben wird. Die Zeitspanne zwischen Vortrag und medialer Aus- und Abschlachtung tendiert gegen null. Nachdenken, erörtern, abwägen erscheinen wie eigentümliche Instrumente aus einer lange vergangenen Zeit. Was übrig bleibt, sind der allerkleinste gemeinsame Nenner und Politiker, die lieber inhaltslos labern, als auch nur einen gewagten Gedanken zu äußern. Dieser würde direkt den nächsten Shitstorm auslösen: ein Fegefeuer der Entrüstung, die dunkle Seite des Hypes.

Solch ein Hype kann einen Politiker neuerdings schon treffen, bevor er mit guten oder schlechten Inhalten um die Ecke gekommen ist. SPD-Kanzlerkandidat Schulz wird es selbst nicht verstanden haben, dass er nach seiner Benennung über Nacht vom Euro-Opa zum Messias wurde. Und er wird es nicht fassen können, dass er nach zwei verlorenen Landtagswahlen – und weil er einfach mal ein paar Wochen lang die Klappe gehalten hat – schon wieder Geschichte sein soll, begraben unter den Trümmern des „Schulz-Effekts“: eines geleitartikelten und getalkten Hypes, Politversion der Ice Bucket Challenge und von Pokémon Go.

 

Es sei denn, die Wahl heute in NRW wird von der SPD, nein, natürlich vom „Schulz-Effekt“, gewonnen. Dann könnte er wiederauferstehen, der Hype. Für zwei bis vier Wochen. Danach wäre wieder der Shitstorm dran.

 

Quelle

 

Ausgabe              Die Rheinpfalz - Rheinpfalz am Sonntag West Nord - Nr. 20

Datum   Sonntag, den 14. Mai 2017

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