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"Rockenhausen ist immer noch das wichtigste Werk im Adient Konzern!" - Interview mit Michael Tschoepke

Veröffentlicht am 23.09.2020 in Wirtschaftspolitik

Michael Tschoepke im Interview mit der SPD Online Redaktion. Die ehemalige Führungskraft des Automobilzulieferers Adient spricht über die Zukunft des Standortes Rockenhausen, die Krise der Automobilindustrie und den ungezügelten Neoliberalismus in den letzten Jahren. Lest das ganze Interview hier auf unserer Homepage!

Michael, Du warst lange Zeit in Führungspositionen der Automobilindustrie bei KEIPER, Johnson Controls und Adient beschäftigt. Im Februar letzten Jahres bist Du dann aus dem Betrieb ausgeschieden. Was genau hast Du verantwortet?

Zuletzt war ich bei Adient als Vice President IT Client Services tätig. Dort war ich insbesondere für die gesamte Rechner-Infrastruktur zuständig – kurz gesagt: Ich habe mit meinen international aufgestellten Teams dafür gesorgt, dass an jedem Arbeitsplatz funktionierende Rechner zur Verfügung standen. Ich war einer der wenigen Europäer, der wirklich an den Führungsdiskussion im Konzern beteiligt gewesen war.

Du hast die Entwicklungen in den vergangenen Jahren von KEIPER über Johnson Controls bis Adient hautnah mitbekommen und zum Teil verantwortet. Von über 1400 Mitarbeitern im Jahr 2010 werden es nach den aktuellen Stellenkürzungen nur noch knapp 900 Mitarbeiter im kommenden Jahr sein. Viele Menschen machen sich um den Standort Rockenhausen Gedanken. Wie siehst Du dessen Zukunft?

Zunächst muss man eines feststellen: Der Standort Rockenhausen ist elementar wichtig für den gesamten Adient Konzern. Das Werk in Rockenhausen ist der Grund, warum KEIPER damals übernommen wurde. Mit dem Recliner (umgangssprachlich Taumel) – dem Bindeglied zwischen Lehne und Sitzunterbau - war KEIPER ein sogenannter „Hidden Champion“. Johnson hat über viele Jahre versucht, einen eigenen Recliner zu vermarkten, aber die keiperspezifische Kombination aus Entwicklungsintelligenz und Herstellungsfinesse war unschlagbar.

Das heißt Rockenhausen ist auch in Zukunft wichtig für Adient?

Ja, auf jeden Fall. Rockenhausen ist eine der zentralen Fabriken im Adient Konzern. Sowohl unter Johnson als auch unter Adient wurden bereits über 100 Millionen Euro Investitionen in die Zukunftsfähigkeit des Werkes getätigt, die so unter KEIPER vermutlich nur sehr schwer möglich gewesen wären.

Nichtsdestotrotz werden im Zeitraum 2010-2021 über 500 Stellen abgebaut. Viele munkeln, dass es das unter KEIPER nicht gegeben hätte?

Es ist müßig zu diskutieren, was wäre, wenn… Fest steht, dass im Jahr 2010 kurz nach einer großen Weltwirtschaftskrise KEIPER als mittelständisches Unternehmen nicht mehr mit dem Kapitalbedarf der Globalisierung und der Global Player Schritt halten konnte. In Bezug auf den Stellenabbau muss man die Geschichte eigentlich andersherum erzählen.

Nämlich, wie?

Wir können froh sein, dass überhaupt so lange so viele Stellen am Standort Rockenhausen gehalten werden konnten. Das ist, neben einer gut funktionierenden Mitbestimmung, insbesondere auch der Verdienst eines hervorragenden lokalen Managements, dass lange für die Mitarbeiter gekämpft hat. Insbesondere die regionale Verwurzelung und der informelle Austausch der Führungskräfte untereinander hat ganz oft geholfen, einen Stellenabbau zu vermeiden. Da fallen mir spontan Namen wie Heiko Opp, Volker Wernz, Anna Schreiber oder auch Rainer Greth ein, die (neben vielen anderen!) unter der Führung des langjährigen Werkleiters Martin Queck oder des derzeitigen Werkleiters Guido Herkenrath sehr verantwortungsvoll die Balance zwischen Shareholder Value einerseits und regionaler Verantwortung andererseits halten. Und das möchte ich nochmal betonen: Die konstruktive Zusammenarbeit zwischen Werkleitung und Betriebsrat, deren Ergebnis hochflexible Arbeitszeitsysteme waren, hat immer so etwas wie widerwillige Hochachtung der Amerikaner hervorgerufen!

Gilt das auch für die Lehrwerkstatt?

Unbedingt. Die Lehrwerkstatt und deren Qualität ist das Aushängeschild in Rockenhausen. Die hohe Konstanz der Lehrlinge und deren Aufstiegschancen tragen mit zum Erfolg des Werkes bei. Die Amerikaner waren immer sehr beeindruckt von unserem Ausbildungssystem. Inzwischen gibt es sogar Mehrgenerationen Arbeiterschichten – vom Opa über den Vater bis hin zum Sohn haben alle hier in Rockenhausen gearbeitet. So wird natürlich auch informelles Know-How weitergegeben.

Trotzdem werden auch die Lehrlinge nur noch befristet übernommen…

Ja, das ist leider sehr schade. Lange hat man versucht mit flexiblen Arbeitszeitmodellen und gelebter Arbeitnehmerkultur auf die Herausforderung der Globalisierung zu reagieren. Doch irgendwann laufen auch die personalintensiven Aufträge aus… Was aber bleibt, ist die Notwendigkeit, bestens ausgebildete Mitarbeiter zu haben, die den Anforderungen eines sich ständig ändernden Arbeitsumfeldes gewachsen sind. Schließlich steckt die gesamte Automobilindustrie in der Krise – dem kann sich Adient nicht entziehen.

Die Krise der Automobilindustrie wirkt sich auch auf Adient aus

Ein gutes Stichwort – Die Krise der Automobilindustrie. Was sind die Ursachen der Krise? Liegt es an Corona?

Ich möchte direkt mit einem Mythos aufräumen. Die Krise der Automobilindustrie hat nichts mit der aktuellen Corona-Pandemie zu tun. Da gibt es tieferliegende Gründe.

Die wären?

Es gibt drei Säulen der Automobilbranche, die zurzeit alle gleichzeitig in Frage gestellt werden. Punkt 1: Der Antrieb eines Automobils stand in den letzten 125 Jahren nie ernsthaft zur Debatte. Doch der klassische Verbrenner gerät zunehmend unter Druck. Elektroautos oder Autos mit Wasserstoffantrieb bedeuten einen fundamentalen Wandel für die Automobilhersteller. Punkt 2: Ownership – Das Eigentümerverhältnis ändert sich, Sharing-Modelle gewinnen an Zustimmung. Der Status eines Autos hat sich geändert. Für meine Generation war ein eigenes Auto das höchste der Gefühle – die junge Generation sieht das anders und möchte möglichst schnell und klimafreundlich von A nach B kommen. Punkt 3: Ist die Frage: Wer sitzt am Steuer? Die Digitalisierung und das autonome Fahren bedrohen das klassische Verständnis des Autofahrers und stellen ganz neue Fragen. Diese drei massiven Veränderungen finden gleichzeitig statt. Die Automobilindustrie steht vor einem gewaltigen Wandel.

Was ist der Antrieb der Zukunft? Hat der Verbrenner ausgedient?

Nein, das glaube ich ehrlich gesagt nicht. Aus meiner Sicht ist die Elektromobilität keine wirkliche Alternative. Es ist physikalisch zu aufwendig, verbraucht Unmengen an seltenen Ressourcen, die unter menschenunwürdigen Bedingungen gefördert werden und ist für die breite Masse zu teuer. Es gibt sicherlich Liebhaber, die ein Elektroauto kaufen wollen – die breite Masse aber sicherlich nicht. Es kann somit nur eine Übergangstechnologie hin zu Wasserstoff sein.

Aber wie sollen dann die Klimaziele eingehalten werden?

Ich glaube, die Autokonzerne werden ihre Verbrennungsmotoren weiter optimieren. Letztlich läuft es darauf hinaus, dass die Autos wieder kleiner und somit auch CO2 sparender werden. Meiner Meinung nach kann der Flottengrenzwert auch mit sparsamen Dieselmotoren erfüllt werden. Der Diesel ist nicht so schlecht, wie er gemacht wird! Zudem sollte an neuen Mobilitätskonzepten gearbeitet werden.

Also wäre ein Verbot der Verbrenner nicht sinnvoll?

Nein. Dann werden eben die Fahrzeuge mit den großen Motoren in andere Teile der Welt verkauft. China ist jetzt schon der stärkste Markt und Indien wird folgen. Ein Verbot der Verbrennungsmotoren bei uns würde das Problem nur in andere Teile der Welt verlagern.

Abschließend: Wie sähe Dein Lösungsansatz aus, die Automobilindustrie mit dem Klimaschutz zu versöhnen?

Die einseitige Fixierung der Branche auf Profitmaximierung muss geändert werden. Wachstum ist richtig, solange es qualitativ ist, nicht nur quantitativ. Seit den 90er ist die Weltwirtschaft durch einen exzessiven Neoliberalismus gekennzeichnet. Die Manager haben Gewinnmaximierung quasi mit der Muttermilch aufgesogen. Dabei gibt es hochinteressante Ansätze in der pluralen Ökonomie, wie es auch anders gehen könnte. Da hoffe ich auf eine neue Generation von Entscheidungsträgern mit Mut zur Veränderung. Aber auch der Staat und gerade die SPD müssen bereit sein, über bestehende Sachzwänge hinaus zu denken und diese Fixierung auf den Markt als alleinige Entscheidungsinstanz zu hinterfragen. Der Globalisierungszwang schadet Mensch und Natur!

Michael, vielen Dank für das ausführliche Interview.

Zur Person: 

Michael Tschoepke ist im Jahr 2004 bei der Firma KEIPER als Senior Vice President Purchasing eingestiegen. Von 2006 bis 2012 war er im Vorstand als Chief Information Officer. Nach dem Verkauf von KEIPER war Michael Tschoepke als Vice President IT tätig. Im Anschluss war er bis zu seinem Ausstieg im Februar 2019 als Vice President IT-Client Services bei Adient beschäftigt. Michael Tschoepke ist verheiratet, hat zwei erwachsene Kinder und wohnt in Dielkirchen. Seit 1974 ist er SPD-Mitglied.