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Nordpfälzer auf dem Debattencamp!
Es war das erste erkennbare Zeichen des vor einem Jahr angekündigten Erneuerungskurses der Partei: Beim Debattencamp der SPD in Berlin sollte ohne Tabus hinterfragt werden, wofür die Partei steht. Insgesamt folgten 3400 Anhänger – deutlich mehr als erwartet – der Einladung der SPD und diskutierten mit der Parteiprominenz. Das Experiment kann als gelungen bezeichnet werden.

Freunde des Wortspiels kamen auch zum Zug: In der ehemaligen Sperrholzfabrik am Spreeufer wurden am Wochenende dicke Bretter gebohrt. Seit dem Desaster bei der Bundestagswahl im vergangenen Jahr reihte sich eine Wahlniederlage an die andere. Neue Ideen sind also gefragt in der SPD, um das politische Überleben zu sichern. Mehr denn je setzt die Parteizentrale nun auf die aktive Basis.Die Anmutung nackter Betonwände und unverputzter Backsteinmauern passte zum Werkstattcharakter der Veranstaltung. SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil hatte das Ereignis wochenlang vorbereitet und es als „große Innovationsmesse“ angekündigt. Obwohl die SPD gezielt mit der modischen Sprache der jungen Internetgemeinde geworben hatte, waren doch bemerkenswert viele ältere Anhänger gekommen. Verzichtet wurde auf die bei Parteitagen übliche Unterstützung durch Sponsoren aus der Industrie. Die SPD sollte ganz bei sich sein – ohne Einflüsterungen von außen, ohne Antragsbuch und Beschlussfassungen.

Zu den Ausstellern im Zentrum des Debattencamps zählten somit vor allem Nichtregierungsorganisationen, SPD-Arbeitsgruppen und einzelne Ortsvereine. So präsentierte der SPD-Landesverband Rheinland-Pfalz mit seinem Generalsekretär Daniel Stich und Landtagsfraktionschef Alexander Schweitzer das Ludwigshafener Quartierbüro, das als Anlauf- und Beratungsstelle im Viertel fungiert und bislang das einzige SPD-Projekt seiner Art in Deutschland ist (wir berichteten).

Schlagzeilen produzierte das Debattencamp auch, wie etwa die Ankündigung von Parteichefin Andrea Nahles, die SPD werde Hartz IV „hinter sich lassen“. Oder ihre Forderung nach einer europäischen Armee. Oder das deutliche Plädoyer des griechischen Ministerpräsidenten Alexis Tsipras für ein „gemeinsames Haus Europa“. Darüber diskutierten die Teilnehmer in den Pausen bei fair gehandeltem Kaffee und veganen Buletten.

Doch geprägt wurde das Debattencamp nicht von diesen Thesen, sondern von den Diskussionsrunden in den über 100 Foren in den Nischen und Nebenräumen der ehemaligen Fabrik. Deutschlands Rolle in der Welt, die digitale Revolution oder die gerechte Verkehrswende – kaum ein Thema wurde nicht berücksichtigt.

Emotional wurde es beispielsweise in der Runde über die Bekämpfung des Rechtsextremismus. Ein junger Teilnehmer vertrat die Auffassung, jedem Nazi „eins in die Fresse“ zu geben, was Empörung bei anderen auslöste. Das sei nicht die Art der Auseinandersetzung, die man pflegen wolle. Ein Frau aus dem Publikum berichtete von einem Gespräch mit einem überzeugten AfD-Wähler. „Und wie ihr seht, lebe ich noch“, plädierte sie für die offene Debatte mit politischen Gegnern. Kurz schaute auch Andrea Nahles in dieser Runde vorbei, doch erging es ihr wie vielen anderen: Wegen des großen Andrangs fand sie keinen Platz mehr. Gut besucht war auch die Diskussion über die Folgen aus den Ereignissen von Chemnitz mit dem sächsischen SPD-Vorsitzenden Martin Dulig. Familienministerin Franziska Giffey hatte einen viel beklatschten Auftritt, bei dem sie für die Kindergrundsicherung warb.

Überhaupt waren die Persönlichkeiten der SPD stark vertreten: Alle Bundesminister, zahlreiche Landesminister, Landesvorsitzenden und Ministerpräsidenten beteiligten sich an den Diskussionsrunden und zeigten sich nahbar. Viele Teilnehmer nutzten die Gelegenheit, im persönlichen Gespräch mit Nahles und Co. Klartext zu sprechen. Das wurde von den Besuchern honoriert.

Angetan von dieser neuen Art der Begegnung war beispielsweise auch ein Teilnehmer aus der Pfalz: Jonathan Kreilaus, Student aus Gerbach (Donnersbergkreis), lobte das Format der Veranstaltung. „Es ist eine gute Erfahrung, auf Augenhöhe mit der Parteiprominenz zu diskutieren.“ Die Reise nach Berlin habe sich auf alle Fälle gelohnt, meinte der 23-Jährige. „Von der berühmten Berliner Politik-Blase war nichts zu spüren, heute war die Basis am Zug.“

DIE RHEINPFALZ 12.11.2018